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26.3.06

Der Rinden-Wahnsinn

Es stellt sich die Frage, inwieweit Schale, Rinde und andere äusserste Schichten für den wahren Genuss notwendig oder diesem abträglich sind

Man nehme zum Beispiel das Schwarzbrot, das gute: Ohne seine knusprig splitternde Rinde ist es nur etwa ein Drittel des Vergnügens, beziehungsweise gar keines, da nur mehr weich-saftige Masse ohne harten Kontrast, das Säuerlich-Bittere der dunkel gebackenen Brotrinde würde als geschmackliche Nuance entscheidend fehlen, das leise Quietschen beim Hineinbiss in eine korrekt angetrocknete Krume würde das Gesamterlebnis Brot enorm reduzieren. Im Falle von Brot halten wir also fest: Rinde muss sein.

Aber wie ist das bei Apfel und Birne? Hinsichtlich des Apfels wurde (zumindest meiner Generation und jenen Generationen vor mir) eingebläut, dass das Gute und die feinen Vitamine direkt unter der Schale wohnen würden, weshalb man das Zeug halt mitass, auch wenn es sich zwischen den Zähnen verkeilte, die fruchtige Zartheit des Apfels durch Gerbsäure irritierte und überhaupt. Bei der Birne lief das schon etwas anders, die zu schälen war und ist durchwegs Usus, bilde ich mir ein, wie ja auch Birne und Vitamine keineswegs so oft gemeinsam genannt wurden wie der Apfel.

Apropos Apfel: Beim Erdapfel lief das ja wieder genau konträr, da war die Schale böse, erdig und grauslich, ausser es handelte sich um die geschmacklose Variante der ägyptischen Heurigen, bei denen die junge, zarte Schale wieder super und besonders war und sogar mitgegessen werden durfte/sollte. Auch an Chips kann ich mich erinnern, die mit Schale frittiert wurden, somit einen rustikalen Eindruck vermittelten und auch ein wenig mehr kosteten als die «nackten» Chips.

Zum wirklichen Denkschulen-Konflikt kommt es Schalen- und Rinden-mässig ja aber beim Käse. Am Wochenende ass ich viel und wahnsinnig gut bei einem Mann, der in den 70er-Jahren ein Michelin-besterntes Restaurant in Deutschland hatte, und der aus Freude an der Sentimentalität ein paar der beliebtesten Gerichte dieser Zeit zubereiten liess. Darunter auch eine kleine Selektion wunderbarer Weichkäse, die aber gelöffelt auf den Teller kamen, also nicht nur ohne ihre ursprüngliche Form, sondern vor allem auch ohne ihre Rinde. In den 70er-Jahren sei das in Deutschland eine notwendige erzieherische Massnahme gewesen, so der Mann, da man sich bei unserem nördlichen Nachbarn damals eben noch in der Nachkriegszeit wähnte und aus Angst vor Verschwendung jedes Molekül der teuren, französischen Käse vom Teller schabte, Rinde inklusive.

Nun ist da a priori nichts dagegen zu sagen, noch dazu, wenn vom Geiz getriebene Gäste auch die eher heftig gereiften Rotschmiere-Käse samt ihrer äussersten Schichte verzehren, dann die Histamin-Attacke erleiden und den Grund dafür in etwaigen schlechten Weinen, schlechter Küche oder sonst einem Fehler eines anderen suchen. Nur bei Käse, wo die Schale halt durchaus ein Bestandteil des Genusses ist, möchte ich eigentlich nicht darauf verzichten oder zumindest selbst bestimmen können, ob ich in den würzigen Schimmelrasen eines gereiften Brie de Meaux beissen mag oder nicht, ob ich nur das milchig-cremige Innere des Camemberts anstrebe, oder auch seine etwas schärfere Schale. Und es ist die aromatische Synergie von beidem, die den Punkt macht, finde ich. Dafür verzichte ich gerne auf Butter, auf Kürbiskerne, auf ranzige Nüsse, auf Weintrauben sowohl ganz als auch halbiert und auch auf Apfelspalten – mit oder ohne Schale. Aber lasst bitte dem Käse sein Gewand, wenn ich ihn nackt will, ziehe ich ihn selber aus.

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